„Isegrim“ war ein absoluter Coverkauf – das Buch, mit dem tollen Wolfsmotiv und dem Wald in der Silhouette des Wolfes musste ich einfach haben. Zumal Titel und Klapptext viel versprachen: Wölfe und dunkle Geheimnisse und zwischendrin ein ungewöhnliches Mädchen …
Jola ist siebzehn. Für die normalen Dinge, die Mädchen in ihrem Alter so machen, interessiert sie sich weniger. Ihr Interesse gilt vorallem dem Wald – ihrem Wald – und den darin lebenden Tieren, die sie tagtäglich beobachtet. Ihr Freund Kai kann Jolas Liebe für den Wald kaum nachvollziehen, doch er nimmt sie wie sie ist, schließlich kennen sie sich schon seit Kindesbeinen an. Doch plötzlich fühlt sich Jola in ihrem Refugium mehr und mehr beobachtet. Aber Angst zu haben, das verbietet sie sich. Denn Angst hat ihre Mutter genug für die ganze Familie. Seit Jolas beste Freundin Alina vor fünf Jahren spurlos verschwand, verlässt Jolas Mutter kaum das Haus, und fürchtet auch Jola könnte etwas schreckliches zustoßen. Auf einmal ist da ein Wolf im Wald und ein Junge. Beide faszinieren Jola gleichermaßen. Gemeinsam mit Olek, dem rätselhaften Fremden, beobachtet sie den Wolf und findet heraus, dass das Weibchen Nachwuchs hat – in ihrem Wald – was für ein Wunder. Während sie sich mehr und mehr zu Olek hingezogen fühlt, gelangen dunkle Geheimnisse nach und nach ans Licht …
Schon bald fand ich heraus, dass der Titel des Buches – „Isegrim“ – und die Anmerkungen, dass die Autorin doch unheimlich gerne ein Buch über Wölfe schreiben wollte, nahezu gar nichts mit dem vorliegenden Roman gemein haben. Denn das einzige Vorkommen des Wolfes im Buch, ist tatsächlich allein der Umstand, dass sich eine Wölfin mit ihren Jungen in Jolas Wald niedergelassen hat und vielleicht eine handvoll Mal Erwähnung findet. Das war’s.
Ein viel größerer Schwerpunkt dieses Romans liegt in Jolas Alltagsgeschehen und ihrem Liebesleben, das zwar ganz nett beschrieben wird, jedoch nicht wirklich viel Spannendes bietet.
Die Geheimnisse um Oleks Herkunft, Alinas Verschwinden und dem Mord im Dorf vor einem halben Jahrhundert sowie die Hoffnung, dass der Wolf doch noch eine größere Rolle im Buch erhält, ließen mich schließlich doch weiterlesen.
Und eines muss man der Autorin immerhin zugestehen, sie verwebt am Ende alle losen Fäden (und da sind einige) zu einem großen Ganzen und lüftet alle im Buch entstandenen Geheimnisse.
Dass man hier ein Buch einer deutschen Autorin in Händen hält, die zudem schon einiges an persönlichen Erfahrungen gesammelt hat, merkt man dem Buch deutlich an. Nicht nur, dass der Schreibstil sehr ausgereift und wohldurchdacht daherkam, immer mit den Worten am richtigen Platz, auch die Handlung wirkt an keiner Stelle kitschig. Jola als Teenager wirkt erfrischend anders, denn sie ist definitiv kein Mädchen, dass sich für Schminke, Klamotten und Jungs interessiert, sondern für die Natur, ihre Bewohner und das Leben selbst. Deshalb wirkt sie wesentlich reifer als Teenager in anderen Büchern, was mich positiv überrascht hat. Zudem mochte ich Jola schon auf den ersten Seiten sehr gerne und schloss sie bald ins Herz.
Antje Babendererde hat ein Buch voll ungewöhnlicher Figuren geschaffen, die alle ihre eigene Geschichte haben und alle sehr vielschichtig gezeichnet sind, und die diesem Roman eine wunderbare Dichte verleihen. Die Autorin versteht bildhaft und malerisch zu schreiben, und die Kulisse des Dörfchens Altenwinkel vor dem Auge des Lesers entstehen zu lassen und ihn immer tiefer in dessen Geheimnisse zu ziehen.
Das thillerhafte Geschehen – hierbei handelt es sich immerhin um einen „Jugendthriller“ – kommt dagegen leider sehr konstruiert und zu wenig greifbar daher. Während einem Großteil des Buches schweift die Geschichte in den Teeniealltag ab und verbringt dort eine lange, lange Zeit; bis die Ereignisse auf den letzten ca. 70 Seiten des Buches den Faden vom Beginn wieder aufnehmen und dann zack, zack zu Ende erzählt werden. Der „Thill“ kommt kaum merklich und mit sehr leisen Tönen daher. Eine fesselnde, spannende Handlung, die einen das Buch kaum weglegen lässt, habe ich hier leider vergeblich gesucht.
Fazit: Die Geschichte in „Isegrim“ ist ganz anders als erwartet und hat leider nicht viel mit Wölfen und spannendem Geschehen zu tun, wie Klapptext und Äußeres versprechen. Vielmehr geht es um ein starkes, sympathisches Mädchen, dass sich in einen rätselhaften, fremden Jungen verliebt, und das nach und nach, mehr durch Zufall, die verschiedenen Geheimnisse der Vergangenheit aufdeckt: Oleks Herkunft, die Vertreibung eines polnischen Gefangenen und den Mord an einem amerikanischen Soldaten nach Kriegsende und das Verschwinden ihrer besten Freundin. Obwohl ich Spannung in diesem Buch leider sehr vermisste, habe ich die Geschichte um Jola dennoch gerne gelesen. Schließlich hat die Autorin viel Feingefühl und Liebe zum Detail gezeigt und mit „Isegrim“ einen Roman geschrieben, der durchaus gut erzählt ist und atmosphärisch dicht daherkommt. Ich werde definitiv weitere Romane der Autorin lesen.